Wirtschaftspuls: Interview: Tobias Baumann
Katrin Meier, wie haben Sie die ersten anderthalb Jahre an der Spitze der Ortsbürgergemeinde erlebt?
Als spannend und faszinierend. Wir halten mit unseren sechs Restaurants und anderen Naherholungsangeboten im Grünen Ring über die Vermittlung des historischen Nachlasses bis zur Entwicklung von attraktivem Wohnraum beziehungsweise unseren Angeboten fürs Leben im Alter am Singenberg ganz unterschiedliche Angebote für die St.Gallerinnen und St.Galler bereit. Trotz dieser Vielfalt engagieren sich alle Mitarbeitenden der Ortsbürgergemeinde mit dem gleichen Ziel, eine lebenswerte Stadt mitzugestalten.
Das tönt sehr positiv. Entspricht Ihr Aufgabenprofil also den Erwartungen?
Ja. Ich hatte bereits in meiner vorherigen Funktion als Leiterin des Amts für Kultur des Kantons viele Berührungspunkte mit der Ortsbürgergemeinde, insbesondere bei Projekten im Stiftsbezirk oder bei den drei städtischen Museen. In deren Stiftungsräten stellt die Ortsbürgergemeinde aus historischen Gründen jeweils zwei Vertretungen. Besonders interessant finde ich, dass die Ortsbürgergemeinde eine Kombination ist zwischen einer Unternehmensgruppe, die auch Gewinne erwirtschaften muss, und einer Gemeinde, die zugunsten der Stadtbevölkerung tätig ist. Diese zwei Perspektiven, welche die Ortsbürgergemeinde vereint, ergeben eine gute Dynamik.
Weshalb muss die Ortsbürgergemeinde Gewinne erwirtschaften?
Wir bewirtschaften Vermögen, wir haben als Ortsbürgergemeinde keine Steuereinnahmen. Die Gewinne aus den einen Bereichen dienen deshalb dazu, andere Zweige zu ermöglichen. Ein Stadtarchiv zu betreiben, ist kostenintensiv. Auch die Kulturförderbeiträge, der Alters- oder der Naturfonds wollen finanziert sein.
Sie sind die erste Frau an der Spitze der Ortsbürgergemeinde: Wurde dies als Selbstverständlichkeit aufgenommen?
Es gibt einzelne Bürgerinnen und Bürger, die sich darüber gefreut und mir das auch mitgeteilt haben – vor allem in der Anfangszeit nach meiner Wahl. Doch grundsätzlich ist die Tatsache, dass eine Frau an der Spitze einer Organisation steht, inzwischen wohl selbstverständlich. So erlebe ich das zumindest.
Die Ortsbürgergemeinde ist in verschiedenen Wirtschaftszweigen aktiv. Wie behält man da den Überblick?
Die Ortsbürgergemeinde St.Gallen setzt sich aus den Bereichen Forst und Liegenschaften, dem Stadtarchiv und der Vadianischen Sammlung, dem Wohnen am Singenberg zusammen, und sie führt die Geriatrischen Klinik als AG. Als Gemeinde ist sie zudem für Einbürgerungen zuständig und pflegt die Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger. Auch ist sie in der Förderung tätig. Das ist zwar tatsächlich vielfältig, aber dennoch gut überblickbar.
Wie stark sind Sie in Entscheide des Tagesgeschäfts eingebunden? Ihre Funktion dürfte mehr strategischer Natur sein.
Da ich sowohl den Bürgerrat präsidiere als auch die Ortsbürgergemeinde operativ führe, gehört beides zu meiner Tätigkeit. Bei einer Arealentwicklung nehme ich beispielsweise auch in der Baujury Einsitz. Aber spezifische Entscheidungen im Tagesgeschäft treffen die Bereichsleiter selber. Die Aufsicht obliegt dem Bürgerrat, wobei dieser wie ein klassischer Verwaltungsrat fachlich zusammengesetzt ist.
Weshalb macht es aus Ihrer Sicht Sinn, dass eine Ortsbürgergemeinde Heime oder einen Nahwärmeverbund betreibt? Die Aktiengesellschaften könnten doch auch unabhängig agieren…
Die Ortsbürgergemeinden erbringen im Kanton St.Gallen unterschiedliche Leistungen zugunsten der Allgemeinheit. In der Stadt St.Gallen führen wir seit Jahrhunderten Angebote für alte Menschen, pflegen den Wald, entwickeln Liegenschaften. In welcher Rechtsform wir diese Leistungen erbringen, kann im Einzelnen relevant sein, scheint mir aber im Grundsatz von untergeordneter Bedeutung.
Können auf so unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern wie der Waldpflege oder dem Führen eines Stadtarchivs überhaupt Synergien genutzt werden?
In den zentralen Diensten wie dem Finanz- und Rechnungswesen, dem Human Ressource Management oder der Kommunikation können viele Synergien genutzt werden, wenn die Leistungen zentral erbracht werden. Der Austausch über alle Bereiche hinweg wird von den Mitarbeitenden zudem als sehr bereichernd wahrgenommen. Und in einigen Fällen ergeben sich klassische Win-win-Situationen: So können wir zum Beispiel die Geriatrische Klinik und die Wohneinheiten am Singenberg über ein eigenes Nahwärmenetz mit Holz aus unseren Wäldern heizen.
Die Ortsbürgergemeinde hat ihre Daseinsberechtigung also nicht nur aufgrund eines grossen, über Generationen angehäuften Vermögens?
Die Ortsbürgergemeinde ist historisch gewachsen und hat sich ständig weiterentwickelt und den gesellschaftlichen Bedürfnissen angepasst. Zudem gibt es einen guten Grund, dass sich rund 950 Personen zur Bürgerwanderung anmelden. Die Bürgerinnen und Bürger können sich an den Anlässen der Ortsbürgergemeinde begegnen, sich mit Bekannten austauschen und neue Menschen kennenlernen. Das entspricht einem Bedürfnis. Wir sind eine wichtige Gemeinschaft in St.Gallen mit einer guten Mischung aus Alteingesessenen und Neubürgerinnen und Neubürgern, von denen ein Grossteil ursprünglich aus dem Ausland stammt. Wir spiegeln die städtische Bevölkerung dadurch recht gut wieder.
Was würde St.Gallen ohne Ortsbürgergemeinde aus Ihrer Sicht fehlen?
Ohne die Ortsbürgergemeinde St.Gallen würde eine Organisation fehlen, die sich mit all ihrem Schaffen ausschliesslich zum Wohl der Stadt St.Gallen und ihrer Bevölkerung einsetzt.
Infobox: Ortsbürgergemeinde im Überblick
Die Ortsbürgergemeinde St.Gallen fördert und gestaltet eine lebenswerte Stadt St.Gallen, sie wirtschaftet langfristig für unsere vielfältige Gemeinschaft. Als Unternehmens¬gruppe mit Gemein¬sinn wirt-schaftet die Ortsbürger¬gemeinde nach¬haltig und ist ebenso attraktive wie verantwortungsvolle Arbeitgeberin. In der Stadt St.Gallen leben über 10'000 Bürgerinnen und Bürger der Ortsbürgergemeinde. Sie gestalten die Ortsbürgergemeinden an jährlich zwei Bürgerversammlungen mit. Der Bürgerrat mit sieben Mitgliedern ist das Leitungs- und Verwaltungsorgan der Gemeinde. Die Präsidentin ist Vorsitzende des Gremiums und vertritt die Ortsbürgergemeinde nach aussen. Weitere Informationen: www.ortsbuerger.ch
Aktuell
"Wir erbringen Leistungen zugunsten der Allgemeinheit"

2021 wurde Katrin Meier an die Spitze der Ortsbürgergemeinde St.Gallen gewählt. Im Interview erklärt sie unter anderem, weshalb es aus ihrer Sicht sehr wohl Sinn ergibt, wenn eine Ortsbürgergemeinde Heime und Forstbetriebe betreibt und in welchen Bereichen Synergien über komplett unterschiedliche Tätigkeitsfelder hinweg genutzt werden können.